D e r   Z U F A L L

Am Anfang war der Zufall

ohne Philosophie geht es nicht

In der Tragödie von „Goethes Faust“ hat Faustus die Bibel in sein geliebtes Deutsch übersetzt: „Im Anfang war das Wort“ sprach er. Da irrte er sich: „Am Anfang war der Zufall“ müsste er sagen. Ein Ereignis geschieht ohne Ursache. Diese gedankliche Nichtigkeit ist fundamental. Es gibt keine kausale Erklärung für den Anfang.
Das ist der objektive Zufall.

Die Quantenphysik hat eine neuerliche Diskussion darüber ausgelöst, ob die Welt fundamental deterministischen (also vorhersagbaren) oder im innersten zufälligen Prinzipien gehorcht. Die experimentell nachgewiesene Verletzung der Bellschen Ungleichung* impliziert, dass die Natur auf mikroskopischer Ebene nicht durch eine realistische und lokale Theorie beschrieben wird.
Dies bedeutet, dass das Ergebnis eines Experiments selbst bei Kenntnis aller lokalen Gegebenheiten im Allgemeinen nicht exakt vorhergesagt werden kann und dementsprechend auch verschiedene Konsequenzen aus identischen Ausgangssituationen folgen können.
Ein gutes Beispiel für echten Zufall in der Physik ist der radioaktive Zerfall. Stellen wir uns etwa ein einziges radioaktives Atom vor. Von diesem Atom wissen wir, dass es irgendwann zerfallen wird, und wir können die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es beispielsweise innerhalb der nächsten zehn Minuten zerfällt. Der konkrete Zerfall wird jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt auftreten, und wir haben keinerlei Möglichkeit, diesen Zerfall vorauszusagen. Die Quantenphysik sagt, dass es für den Zeitpunkt des einzelnen Zerfalls keinerlei Grund gibt, nicht einmal einen verborgenen. Man spricht hier von einem objektivem Zufall.
Der Zufall tritt aber nicht deshalb auf, weil noch Eigenschaften des Kerns unbekannt wären, sondern weil kein objektiver Grund vorhanden ist. Also keine (lokalen) Ursachen existieren.
Dieser objektive Zufall ist wahrscheinlich eine der profundesten Entdeckungen der Naturwissenschaften in unserem Jahrhundert.
Der quantenmechanische Zufall darf aber nicht mit Regellosigkeit gleichgesetzt werden. Auch wenn die einzelnen Messergebnisse nicht vorhersagbar sind, so sind die Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens durch die quantenmechanischen Gesetzmäßigkeiten streng determiniert.

*Die Bellsche Ungleichung beschreibt die Wahrscheinlichkeit von Messungen verschränkter Zustände und nimmt dabei an, dass die Zustände durch “verborgene Parameter” bereits bestimmt sind. Dann ergeben sich auch bestimmte Werte für die Ungleichung, die man je nach Aufbau der Apparatur auch in Zahlen ausdrücken kann. Die Quantenmechanik verletzt nun diese Ungleichung (auch experimentell). Das heißt, dass man entweder die Lokalität oder den Realismus aufgeben muss. Auf jeden Fall bedeutet es, dass es keine verborgenen Parameter gibt.